Klang Flick Körper

Andreas Pfister über Flick gut von Sebastian Hofmann, mit Philipp Shaufelberger, Lara Stanic, Hans-Peter Pfammatter, Sivlio Cadotsch sowie Firdes Atmaca, Alessandro Peter, Lulzim Plakolli und Marouan Mounir. 19:32-20:30 Uhr.

Rhythmische elektronische Klänge, leise im Halbdunkel. Vier MusikerInnen auf der Bühne mit Posaune, Querflöte, Gitarre und Becken, Keyboard. Sebastian Hofmann zentral am Pult. Das Publikum auf Stühlen, auf dem Boden. Einzelne an Wände gelehnt. Dann eine Art Hornklang. Die Leute beim Eingang machen Platz. Herein fahren, mit ihren Scheinwerfern die Dunkelheit zerschneidend, futuristisch anmutende Gefährte. Es sind drei Menschen mit Behinderung, die meisten mit Muskelschwund. Ihre Rollstühle wirken wie UFOs in diesem Licht, mit all ihren Spezialfunktionen. Zusätzlich darauf montiert sind Lautsprecher für das Stück. Die drei verteilen sich rund um die Musiker, ihre Lichtkegel bilden eine Art Bühnenlicht.

Sebastian Hofmanns Stück trägt den Titel Flick gut. Es ist Teil der Längsten Nacht 2019, dem grössten und wohl traditionsreichsten Zürcher Performance-Festival. Flick gut dauert von 19:32 bis 20:30 Uhr. Der 50-jährige Schlagzeuger und Perfomer ist eine zentrale Figur in der Zürcher Szene für zeitgenössische experimentelle Musik. Sein Atelier an der Stationsstrasse ist ein regelmässiger Treffpunkt: Dort finden experimentelle Werkstatt-Konzerte mit Gästen aus der Zürcher Musik-, Literatur-  und Performance-Szene statt. Die Liste von Hofmanns Projekten und Konzerten ist lang. Meist steht er als Musiker auf der Bühne. Nun tritt er auch als Komponist in Erscheinung.

Der Titel Flick gut, so lässt uns Hofmann im Vorfeld über die Scoial Media wissen, werde häufig als Fick gut gelesen, und natürlich als Fuck you. Spätestens hier glaubt man den Punkmusiker hervorgrinsen zu sehen. Hofmann hat nicht nur eine entsprechende Vergangenheit, er bewahrt sich auch in der Zeitgenössischen Musik gern ein Stück Punk-Attitüde. Die Provokation kann man als infantil abtun. Doch sie ist auch ein Befreiungsschlag, gerade in einer Musikszene, der man oft elitären Habitus und  avantgardistischen Dünkel vorwirft. Jedenfalls wirkt Hofmanns augenzwinkernde Beleidigung sympathisch, einladend. Was man von Zeitgenössischer Musik nicht immer behaupten kann. Und auch nicht muss. Nicht jede Musik muss unmittelbar verständlich sein. Es gibt auch eine Welt jenseits des  Zugänglichen – und genau die fasziniert uns. Performer wie Hofmann sind Aussenposten, Astronauten, Extremsportler der Musik. Launische Wachhunde der künstlerischen Freiheit. Das ist Avantgarde im eigentlichen und besten Wortsinn.

Jetzt ist Sebastian Hofmann aufgestanden. Er tritt im Licht der Rollstühle vor das Ensemble, ernst, und beginnt zu dirigieren. Natürlich in T-Shirt, Jeans und Turnschuhen. Die Musik, die so entsteht, setzt sich aus klassischen Instrumenten und elektronischen Klänge zusammen. Musik ist vielleicht das falsche Wort. Eventuell spräche man besser von Klang- oder Geräuschkunst. Doch all diese Begriffe sind schwer befrachtet und bis ins filigrane Detail definiert. Es soll hier bei der einfachen Feststellung bleiben: Die Fragen, die Hofmanns Performance aufwirft, sind alte Bekannte: Was ist das? Was soll das? Warum? Offenbar wird man die Fragen nicht los.

Zunächst ist da die Frage nach der Gattung. Was ist es? Eine Performance? Musiktheater? – Es ist beides, vieles. Hofmanns Stück überschreitet Gattungsgrenzen. Das beginnt bei der Rolle des Komponisten: Hofmann hat ein Konzept für geschrieben, doch nur Teile des Stücks vorgegeben. Andere wurden während der Proben mit dem Ensemble entwickelt. Wieder andere sind frei. So werden auch die MusikerInnen beim Improvisieren ein Stück weit zu Mitkomponisten.

Als Zuschauer bekommt man die Entstehung und die Bedingungen des Stücks nur teilweise mit. Das ist zwar logisch, trotzdem wüsste man oft gerne mehr. Gerade bei Kunstmusik, die mehr interessant ist als schön. Da kommt man mit blossem Hören nicht weiter. Das Gefühl der Überforderung ist ein ständiger Begleiter, und manchmal schlägt sie um in Langeweile oder Ärger. Auf der anderen Seite steht die Freude an Abstraktion und Experiment. An Urbanität. An der Ferne zum Provinziellen und Bekannten, zum ewigen Erklären und Bekehren und Verteidigen der Moderne. In dieser Ambivalenz besucht man so manches Konzert. Ist überfordert und überrascht. Wird verarscht und verstanden. Mehr noch: aufgehoben. Nicht nur von der Musik. Auch von den Menschen, die sie machen. Sie werden zu Freunden.

Wieder hat sich das Stück verändert. Kaleidoskopartig leitet jeder Teil zum jeweils nächsten über. Jetzt spielen die MusikerInnen komponierte Versatzstücke. Ein unweigerliches Zusammenspiel entsteht. Hofmann schaltet derweil die Lautsprecher auf den Rollstühlen ein. Er nimmt den FahrerInnen den Puls am Finger. Das Piepen ihres Herzschlags wird Teil der Musik. In ihren Rollstühlen, mit ihren Schläuchen und Kabeln, verkörpern sie  eine ganz eigene Variante des Themas Mensch und Maschine. Elektronik, Technik, die Bühne voller Material: Die Ästhetik Zeitgenössischer Musik trifft hier auf jene von Apparaten und Geräten aus der Medizin. Und da ist das Unwirkliche medizinisch längst wirklich, das Abstrakte real und alltäglich. Und zwar in lebenserhaltender Funktion. Was bei Zeitgenössischer Kunstmusik oft als abstrakt oder unschön kritisiert wird – die Kabel, die piependen, blinkenden Geräte – wird fraglos akzptiert, wenn es auftritt als Nicht-Kunst, hier als medizintechnisches Equipment. Bei den Rollstuhlfahrenden werden Körperfunktionen, etwa die Atmung, von Maschinen übernommen. Schlaglichtartig beleuchtet dies klassische Themen der Zeitgenössischen Musik: etwa die Frage nach dem Körper des Musikers. Nach seinem Verhältnis zu den digitalen Instrumenten, allen voran dem Computer. Die Rollstühle werfen ihr ganz eigenes Licht auf die Kunst – uns sind selbst Teil davon. Zum Kunstwerk wird in Flick gut neben dem handwerklichen Können auch die Performance, das Bühnengeschehen – digital erfasst und gestaltet. Zum Kunstwerk wird auch die Idee, das Konzept: Das Inszenieren von Klang und Körper unter den Bedingungen der Digitalisierung.

In Hofmanns Stück werden beide Welten verbunden: Hier die ausgebildeten Musiker mit ihrer Präsenz, ihrer Kunstfertigkeit. Da der Herzschlag der Rollstuhlfahrenden, ihre existenzielle, intime Körperlichkeit. Das ist stark, aber auch beklemmend, man greift sich unwillkürlich an die Brust. Der Eindruck ist spektakulär, doch auch erschreckend. Im Alltag sagt man den Kindern, sie sollen nicht starren. Und hier? Selbst jetzt noch, schreibend, stellt sich die Frage nach den richtigen Worten.

Flick gut stellt eine Weiterentwicklung von Hofmanns Schaffen dar. Teile des Stück sind wenig Monate zuvor im Rahmen von Mutter Motor entstanden. Das ensemble metanoia hatte Rollstuhlfahrende auf die Bühne gebracht. Sebastian Hofmann war als Musiker und als Komponist beteiligt. Hofmann ist zudem Gewinner des Zuger Werkjahres. Der Auftritt ist auch Teil dieses Programms. Die Wahl der Themen und Formen hat so gesehen etwas Pragmatisches. Darüber hinaus fällt allerdings eine innere Verwandtschaft auf. Hofmanns Inszenierung hebt sie deutlich hervor: Die Rollstuhlfahrenden erscheinen auf der Bühne auf den ersten Blick als fremd und abstrakt. So wirkt, zumindest am Anfang, für viele auch die Zeitgenössische Musik. Man könnte auch sagen: Moderne, mitunter unverständliche und irritierende Kunstmusik erkennt sich selbst wieder in diesen Menschen auf ihren Rollstühlen, inmitten ihrer Apparaturen. Dabei schwingt zum einen die Faszination am Fremden und Spektakulären mit. Zum andern wirkt das vermeintlich Fremde bei genauerem Hinsehen überraschend vertraut. Die Frage drängt sich auf: Gilt das umgekehrt auch? Was denken diese Menschen über Hofmanns atonale Musik? Was über ihren Anteil am Stück? Ein Ausstellen darf es nicht sein. Vielleicht ist es ein Sichtbarmachen. Ein Pochen auf das Existenzrecht von aussergewöhnlichen, ungewohnten Formen sowohl des Lebens als auch der Kunst. Ein Akt der Solidarität.

Das Stück geht zu Ende, die RollstuhlfahrerInnen treten ab. Langsam rollen sie auf den Ausgang zu, auf ihren quietschenden Gummirädern, das Publikum macht ihnen Platz. Licht, ruft Sebastian Hofmann. Wir applaudieren und müssen schnell aufstehen, die Stühle zur Seite rücken. Hofmanns Equipment wird rausgeschoben, schon kommt das Material für die folgende Performance. Es ist die nächste in einer langen Reihe in dieser Längsten Nacht.

 

Dieser Beitrag wurde unter Nachher / After, Sebastian Hofmann & viele tolle Andere veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.